Osterspaziergang

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick;
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Wer kennt dieses Goethe-Gedicht nicht?!

Es ist ein in Versen geformter Text, der aus dem Theaterstück „Faust I. Teil“ stammt, einer Tragödie, verfasst von Johann Wolfgang von Goethe.

Gesprochen wird der als Osterspaziergang bekannte Text von Faust, dem Naturgelehrten und Alchemisten, in der Szene „Vor dem Tor“. Spaziergänger aller Art ziehen aus der nahegelegenen Stadt hinaus in die Natur. Deutliche Zeichen des erwachenden Frühlings sind ringsum wahrzunehmen. Dann treffen Faust und die Figur „Wagner“ aufeinander. Faust beginnt, zu Wagner gerichtet, den Monolog des „Osterspaziergangs“, wo er seine Beobachtungen von Natur, den Vorgängen um ihn herum und dem Treiben der Menschen in geistvollen Schlussfolgerungen und Vergleichen kommentiert.

Gegen Ende dieser Szene „Vor dem Tor“ erscheint ein Pudel, der sich später als Mephistopheles, der Teufel, entpuppt. Er will Faust im Tausch gegen seine Seele alles Wissen von der Erde und vom Universum beibringen, u.a. in dem er mit Faust überall hinreist. Tragischerweise entscheidet sich Faust für das Alles-Wissen und Alles-Erleben und lässt Gretchen allein.

In der Schule, zumindest aus meiner Schulzeit kann ich es bestätigen, war die Tragödie „Faust I. Teil“ nicht nur Pflichtlesestoff im Literatur-Unterricht; es wurde vom Lehrer/ von der Lehrerin zudem auch gefordert, den Text des „Osterspaziergangs“ auswendig zu lernen und vortragen zu können. Schwitz!

Aber der Text ist auch ausgesprochen passend für die Zeit des beginnenden Frühlings um die Osterfeiertage herum. Wir sehen uns in den Beobachtungen und Bemerkungen des Faust jedes Jahr aufs Neue bestätigt, egal ob Technik und Infrastruktur sowie Lebensverhältnisse weiter fortgeschritten sind. Die Macht der Natur im alljährlichen Jahreszeitenwechsel lässt auch den Stumpfsinnigsten nicht gleichgültig. Und so kann mit den Worten Goethes in diesen Tagen immer wieder festgestellt werden: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich´s sein.“

 

Hier der vollständige Text:

Vor dem Tor

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,
Im Tale grünet Hoffnungsglück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dort her sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur.
Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlts im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurück zu sehen!
Aus dem hohlen finstern Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden:
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluß in Breit und Länge
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein!

(Johann Wolfgang von Goethe, Faust I)

 

Der Text des „Osterspaziergangs“ von J. W. von Goethe mit seinen Versreimen als Plakat-Gestaltung an der Infowand am Forum im zentralen Kosmosviertel

 

Text des „Osterspaziergangs“ und Frühlingsboten, hier in Form der männlichen Blütenkätzchen der Sal-Weide. Sie blüht in diesen Tagen auch im zentralen Grünzug des Kosmosviertels, so in Nähe des Teiches. Am Teufelssee in den Müggelbergen sind weiblich und männlich blühende Sträucher vorhanden. Zahlreiche Insekten, darunter Bienen, gehören zu den Bestäubern dieser Frühblüher.

 

Detlef Kirstein, Kiezladen WAMA, Kosmosviertel (Altglienicke)